Was befördert Fahrgäste mit hohem Komfort, hoher Zuverlässigkeit und höchster Sicherheit sowie Güter effizient bei einem minimalem Platzbedarf? Sie ist zudem seit über hundert Jahren elektromobil unterwegs, strukturiert den Siedlungsraum und ist für alle Menschen zugänglich. Es ist die Eisenbahn – und deren Rückgrat ist die Bahninfrastruktur mit ihren Gleisen, Brücken, Tunnels und Bahnhöfen. Sie rollt seit 200 Jahren auf ihren Stahlgleisen und «bietet sich als Mobilitätsträgerin der Zukunft geradezu an». Dieser Infrastruktur widmet sich das Buch «Bahninfrastrukturen» von ETH-Professor Ulrich Weidmann *) Ein Buch zur richtigen Zeit. In Zeiten wie dieser Pandemie kommen ja auch Zweifel auf, ob wir auf dem «richtigen Gleis» sind in der Mobilität. Aber Bahninfrastrukturen haben einen anderen Zeitplan, andere Zeiträume – hier wird nicht in Jahren sondern Jahrzehnten gerechnet. Weidmann baut die Struktur logisch auf, vom Planen, übers Entwerfen, Realisieren (Bauen) bis zum Erhalten. Gerade der letzte ist ein zentraler Punkt: Neue Bauwerke einweihen ist das eine – kein Politiker lässt sich das entgehen – den Strukturerhalt zu erklären etwas anders.Nach der Wende 1989 zeigte sich exemplarisch, wie verschieden Ost- und Westdeutschland mit (Verkehrs)Infrastrukturen umgegangen ist. Aber auch in Italien, Frankreich oder den USA liegt der Unterhalt der Verkehrsinfrastruktur teilweise im Argen. Und bei dieser Modernisierung geht es nicht um «Milliönchen» sondern um hunderte und tausende Milliarden Franken die allein in Europa für den Erhalt/Ersatz nötig sind – und damit auch um ein grosses volkswirtschaftliches Kapital. Das über 600-seitige Werk, welches überarbeitete und aktualisierte Vorlesungsunterlagen, Vorträge und Publikationen zusammenfasst, wendet sich primär an Ingenieure, Wissenschafterinnen und Student/-innen. Es soll den Einstieg in die vertiefende Fachliteratur erleichtern. Es gibt jedoch für interessierte Laien – zumindest in den einleitenden Kapiteln – bedenkenswerte Gedanken und Ausführungen zum Transportmittel Bahn. Eine Grafik zur Entwicklung der europäischen Schienennetze im Normal- und Schmalspurbereich über die 200-Jahre Bahngeschichte veranschaulicht den Wandel im Verkehrswesen. Im 19. Jahrhundert wurden vor allem Infrastrukturen für die Normalspur aufgebaut, in der zweiten Hälfte auch die Strassenbahnen in den grossen Städten. Interessanterweise erlebten die U-Bahnen erst um 1950 einen grossen Bauboom. Mit dem Ausbau der Strasseninfrastruktur in diesen Jahren wurden auf Regional- und Nebenstrecken zunehmend Bahn- und Überlandstrassenbahnen durch Busse ersetzt. Im letzten Quartal des 20. Jahrhundert kamen dagegen Trams ausserhalb der Kernstädte auf – sogenannte Stadtbahnen. Und Schienen sind «beständige ortsfeste Einrichtungen»; sie sind weit mehr als die Fahrbahn für einen Zug oder ein Tram. Sie bieten eine langfristige Investitionssicherheit und gestalten damit den Siedlungsraum mit. Interessant sind auch drei Stärken des Transportsystems Stahlrad-Stahlschiene, die Weidman in der Einführung aufführt und hier gekürzt aufgelistet sind:
Erstens ist die Bahn «das schnellste netzbildungsfähige Landtransportmittel» und mit Hochgeschwindigkeitszügen «auf Distanzen bis etwa 700 km konkurrenzlos». Zweitens bieten «Bahnsysteme die höchste Beförderungskapazität pro Verkehrsfläche», was vor allem auch in städtischen Räumen ein grosser Vorteil ist. Und drittens «ist die Bahn extrem effizient bei grösseren Gütermengen über lange Strecken». Auch wenn die Bahn heute von digitalen Systemen gesteuert wird, sollten wir nicht vergessen, dass die ICEs, IR, S-Bahnen und Trams letztlich analog/physisch wie die ersten Bahnen vor 200 Jahren unterwegs sind. Und dass die Rollmaterialbeschaffung ähnlich wie das Bereitstellen der Infrastruktur eine eher langfristige Angelegenheit ist. «Kurz: Die Eisenbahn bietet sich als Mobilitätsträgerin der Zukunft geradezu an. Im 19. Jahrhundert entstanden, vor fünfzig Jahren totgesagt, hat sie im 21. Jahrhundert eine klare Mission, denn eine nachhaltige Welt ist ohne die nachhaltige Bahn undenkbar – leistungsfähig, sicher, zuverlässig, umweltfreundlich.» postuliert Weidmann im Vorwort zu Recht. *) Ulrich Weidmann ist ein ehemaliger «SBB-Bähnler», promovierter Bauingenieur, Professor für Verkehrssysteme am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT) und seit 2016 ETH-Vizepräsident. Das Buch ist im vdf Hochschulverlag und im Buchhandel erhältlich oder als e-book, zur Ausleihe über die Bibliotheken. Wer ausserdem weniger technisch dafür musisch etwas zur Bahn erfahren möchte, dem sei der Kunstband «Die Eisenbahn in der Kunst» von Hugbert Flitner empfohlen. Erschienen im Verlag Ellert&Richter, Hamburg 2020.
0 Kommentare
Antwort hinterlassen |
Willkommen
Interessengemeinschaft Jetzt Mitglied werden! 🔗
Archiv
Juli 2024
|